Mit "dzien dobry" grüße ich einen älteren Passanten und versuche auf polnisch nach dem Weg zu dem Friedhof der Mennoniten im früheren Dorf Schönsee in der Kulmer Niederung zu fragen. Aber ich bekomme eine Antwort auf deutsch. Vier Jahre lang hat er in Deutschland gearbeitet. Auf die Frage, wann das gewesen sei, sagte er von 1941 bis 1945. Im Alter von 14 Jahren wurde er als Zwangsarbeiter nach Dortmund geschickt. Im Hintergrund die dramatischen Berichte der Eltern über Vertreibung und Flucht mit allen traumatischen Folgen, wird immer wieder deutlich, dass diese Schrecken viele Menschen erleben mussten. Wir hörten die Geschichte einer älteren Frau, der die Flucht nicht gelang. Alle Kinder waren schon sicher in Dänemark. Dort erfahren sie, dass die Mutter noch auf ihrem Hof ist, jetzt allein unter Polen. Eine Tochter macht sich auf den Weg zurück. Nach längerer Internierungszeit darf sie zur Mutter. Später heiratet sie einen Polen, der zwangsweise in die Region umgesiedelt wurde. Mehrfach hören wir das Wort "Politik derer von oben". Möglich war dies alles aber nur durch die "Vielen von unten", die eine solche Politik unterstützten. Bei einem Besuch im ehem. Konzentrationslager Stutthof gibt es weitere, schaurige Einsichten der menschenverachtenden Politik jener Zeit. Neben der Vernichtung der Juden sollte auch alle polnische Intelligenz und die Erinnerung an polnische Geschichte und Kultur beseitigt werden. Ein weiteres Ziel zum Verständnis jener Zeit ist das im März 2017 eröffnete Museum des zweiten Weltkriegs in Danzig. In diesem wirklich sehenswerten Museum ist in 18 Räumen der Weg zum Krieg und der ganze Horror des Krieges dargestellt. Natürlich steht das Schicksal Polens im Zentrum dieses Museums, aber es zeigt darüber hinaus wie der Krieg sich erst grausam ausbreitet und dann mit großem Elend nach Deutschland zurückkommt. Auch der alles vernichtende Einsatz der Atomwaffen durch die USA wird abschreckend dargestellt. Zahlreiche Exponate, Filme, Fotografien und viele Dokumente machen persönliche Erfahrungen des Krieges lebendig. Unterstützt wird der Rundgang durch ein gutes Audiosystem.
Der Hauptzweck unseres Polenbesuchs ist die Vorbereitung der Reise mit dem MAP (Mennonitischer Arbeitskreis Polen) im Juli 2017. In Thorn/Torun treffen wir uns mit dem Historiker Michal Targowski. Er organisiert die Mennonitentage in Thorn. Sein Forschungsbereich sind die rechtlichen Bezüge der Mennoniten im Weichseltal. Zahlreiche Pachtverträge der Mennoniten mit der polnischen Krone, mit adligen Großgrundbesitzern, mit Städten und der katholischen Kirche sind erhalten. Viele Details werden darüber bekannt. Aber es sind nur die Fakten von Verträgen. Viele Häuser und einige Kirchen der Mennoniten und die Friedhöfe sind erhalten. Ein großes Interesse besteht an dem alltäglichen Leben der Mennoniten. Wie wurde der Alltag gestaltet, was wurde gekocht und gegessen, welche Lieder wurden gesungen, wie wurde Gottesdienst gestaltet. Herr Targowski erzählt, dass ein grundsätzliches Wissen über die Mennoniten in den allgemeinbildenden Schulen Polens vermittelt wird. Zwar existieren auch Berichte über die Beteiligung vieler Mennoniten an dem NS-System, dennoch wird den Mennoniten viel Vertrauen und Empathie entgegengebracht.
Viele Diplomarbeiten und Abhandlungen über die Mennoniten erscheinen in Polen. Auch der Tourismus hat dieses Thema aufgegriffen. So gibt es Radfahrrouten und Autotouren zu mennonitischen Erinnerungsstätten. Viele Hinweistafeln verweisen auf die Mennoniten.
In der Marienkirche Danzig suchte ich ein Epitaph der Loitz Familie, die im 15.Jh viele Mennoniten im Tiegenhöfer Gebiet ansiedelte. Da die Suche zunächst erfolglos war, sprach ich einen jungen Herrn an, der ausgiebig ein Epitaph von Wilhelm von dem Block betrachtete und mit seiner Begleiterin darüber diskutierte. Meine Vermutung, er sei Kunsthistoriker, war richtig und er konnte mir weiterhelfen. Thema seiner Dissertation war Wilhelm von dem Block und über die Mennoniten wusste er bestens Bescheid.
Zehn Friedhöfe besuchten wir in den wenigen Tagen, nicht alle mennonitische, aber auf allen Friedhöfen waren auch Mennoniten begraben. In dem Dorf Montau ist die Mennonitenkirche noch erhalten. Sie dient heute der katholischen Kirche. Um die Kirche herum sind mehrere Gedenksteine aufgestellt, die an die Geschichte der Mennoniten erinnern. Auf einem Stein ist ein Bildnis von Menno Simons. Der Friedhof in Tiegenhagen gleicht einem jungen Wald. Erkennbar ist noch die Lindenallee, die von Westen zur Kirche führte. Für die Kirchenbesucher der östlich gelegenen Orte wurde vor dem Gottesdienst eine Behelfsbrücke über die Tiege gelegt. Der Kuckuck ruft und viele Vögel singen, ein idyllischer Ort der Ruhe. Die Kirche stand direkt am Tiegedeich, nur einige wenige, zwischen frischem Grün liegende Steinreste geben von ihr Zeugnis. Zwar sind noch einige Grabstellen zu erkennen, aber die Grabsteine wurden wohl alle entfernt. Die Gemeinde Rosenort hatte in Zeyersvorderkampen einen Friedhof mit einer Kapelle. Diesen Platz wollen wir erkunden. Der letzte Teil der Anreise führt über ausgefahrene Feldwege. Auch hier ist schon aus größerer Distanz ein Wäldchen auszumachen und tatsächlich ist hier der Friedhof. Auch hier sind nur einige Grabstellen erkennbar, die Grabsteine sind nicht mehr vorhanden. In Ellerwald ist ein erhaltener Friehof mit vielen gut erhaltenen Grabsteinen. Er liegt direkt am Ufer der alten Nogat, deren früher breites Flussbett noch zu erkennen ist. Der Friedhof macht einen gepflegten Eindruck, es gibt hier kein Unterholz. Aber der Zaun ist renovierungsbedürftig und die Inschriften der Grabsteine sind schwer zu lesen. Vielleicht ist hier einmal ein internationaler Arbeitseinsatz möglich. In Thiensdorf hat die schöne, 1865 im neogotischen Backsteinstil gebaute Mennonitenkirche den zweiten Weltkrieg überstanden, sie wurde aber nicht als Kirche weitergenutzt, sondern diente eine Zeit lang als Lagerhalle. Heute steht sie leer. Der Untergrund ist wohl nicht besonders tragfähig, so haben sich einige deutliche Risse im Mauerwerk gebildet. Hinter der Kirche liegt der alte, schon im frühen 18. Jh. gegründete Friedhof mit der noch deutlich erkennbaren Lindenallee. Auch hier wurden fast alle Grabsteine entfernt. nur auf zwei erhaltenen Steinen sind die Namen Bartel und Pauls zu lesen. Die erste Kirche wurde hier 1728 im Stil der mennonitischen Gotteshäuser in Holzbauweise, die von außen nicht als Kirche erkennbar sein durften, errichtet.
Im ehemaligen Dorf Mielenz im Oberwerder haben sich historisch interessierte Bewohner zu dem Verein "Dawna Wozowni" zusammengeschlossen. Über E-Mail
hat sich ein Kontakt ergeben und an einem Nachmittag ist ein Besuch geplant. Freundlich werden wir empfangen und gut versorgt. Man spürt die Liebe zu ihrem Land, ihrer Heimat. Alles wollen sie
über die früheren Zeiten wissen. Wer hat hier gelebt, wie sah der Alltag aus, wo leben die Menschen heute. Der Besuch erstreckt sich dann bis in die Abendstunden. Der Verein sammelte alte
Gegenstände, die andere entsorgen. Es sind alte Werkzeuge, hauptsächlich zur Holzbearbeitung, verschiedene Hilfsmittel aus Bäckereien,
Pferdegeschirre und Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Die Mitglieder sind junge Menschen, darunter drei Lehrerinnen. Alte Techniken sollen für Kinder erlebbar werden. Es wird Getreide gesät,
mit der Sense gemäht, nach dem Trocknen wird es mit selbsthergestellten Dreschflegeln ausgedroschen. Töpfern ohne Töpferscheibe steht auf dem Programm und das Herstellen von Seilen mit
historischen Geräten. Südlich von Mielenz ist ein kleiner Friedhof erhalten. Das Gebiet gehörte zu Klein Montau. Eine große Tafel weist auf einen Mennonitenfriedhof Klein Montau. Das ist
natürlich nicht richtig, die mennonitischen Bewohner dieser Region gehörten zur Gemeinde in Heubuden und dort ist ein großer Friedhof neben der nun nicht mehr vorhandenen Mennonitenkirche. Aber
die Mennoniten wurden nicht ausschließlich auf ihren Friedhöfen zur letzten Ruhe geleitet, sie wurden auch auf den zur evangelischen oder katholischen Kirche gehörenden Friedhöfe begraben. Zwei
Grabsteine sind gut erhalten und der Name Maria Dyck geborene Fast weist aufgrund des Namens auf mennonitische Zugehörigkeit, was durch eine Recherche im Kirchenbuch der Gemeinde Heubuden
bestätigt wird. Alle Lebensdaten der Maria Dyck sind dort verzeichnet. Diese Grabstelle wird von dem Verein gepflegt, sogar mit Blumen bepflanzt. Wir helfen ihnen die Schrift der Rückseite des
Steins zu lesen und zu verstehen.
Wir lassen dich mit Schmerzen
Dich Gattin, Mutter los.
Doch gönnen wir von Herzen
Dir auch dein lieblich Los.
Der Gott, der dir im Leiden
Dein ein und alles war
Den schaust du nun mit Freuden
Und lobst ihn immerdar.
Zu den häufig fehlenden Grabsteinen wird uns erklärt, dass bis in die 1970er Jahre des Nachts von manchen Friedhöfen alle Steine, von manchen nur die wertvolleren entwendet wurden. Vermutet werden Steinmetze, die nach Abschleifen der Inschriften die Steine weiterverwendeten.
Auch der letzte Tag ist von einer weiteren interessanten Begegnung geprägt. Es ist Sonntag und wir wollen einen Gottesdienst besuchen. Über das Internet finde ich die Baptistengemeinde Marienburg. Kurz vor 10°° Uhr betreten wir die Kirche, die 1906 von Baptisten in Marienburg gebaut wurde und heute wieder Baptisten als Gotteshaus dient. An den Wänden sind Informationstafeln über verschiedene christliche Gemeinschaften angebracht. Eine davon berichtet über die Mennoniten und ihre Geschichte in Marienburg. Der Pastor spricht uns vor dem Gottesdienst an. Wir erklären, dass wir Deutsche sind, worauf er uns den Predigttext mitteilt. "Verstehen werdet ihr nichts, aber den Geist der Versammlung werdet ihr spüren" sagt er. Schon vor dem Gottesdienst begrüßen uns viele Gottesdienstteilnehmer und nach der Versammlung wohl fast alle anderen. Wir werden zu Kaffee und Kuchen in den Keller geladen und es ergeben sich viele weitere Gespräche. Schließlich wird uns die Orgel gezeigt, die schon 20 Jahre nicht genutzt wurde. Nun werde ich gebeten etwas zu spielen. Ein altes Baptistenliederbuch, das viele der auch bei uns bekannten freikirchlichen Lieder enthält, ist auch vorhanden. Schon bald kommen weitere Interessierte auf die Empore und es entwickelt sich ein gemeinsames Singen. " Ein zweiter Gottesdienst" äußert sich der Pastor.
Auch wenn die politische Entwicklungen in Polen immer stärker eine patriotische Haltung einnehmen, ist in der Begegnung mit den vielen Menschen auf unserer Reise davon nichts zu spüren. Alle begegneten uns freundlich, offen und mit viel Interesse.
Johann Peter & Käthe Wiebe
Mennonitischer Arbeitskreis Polen
Bilder unserer Reise im Mai 2017
Friedhof der Mennoniten in Schönsee
Ehemalige Mennonitenkirche in Montau Bildnis von Menno Simons auf dem Kirchplatz Montau
Friedhof in Zeyersvorderkampen
Letzte Spuren der Gräber zwischen den Bäumen Nur wenige Fragmente sind geblieben
Mennonitenfriedhof in Tiegenhagen Lindenallee am Friedhof Tiegenhagen
Am Ende der Allee stand auf der rechten Seite die Kirche
Der Mennonitenfriedhof in Ellerwald an der 1. Trift
Kirche und Friedhof in Thiensdorf
Blick über die Linau
Ein Blick über die Werderlandschaft